Mich verließ aller Mut. Ich flüchtete zurück auf die Straße, versäumte es aber in der Aufregung, die Pforte zuzuschlagen. So konnte hinter mir auch das Viech auf die Straße gelangen, was es gnadenlos ausnutzte. Ich stürzte, fiel der Länge nach hin, der Puter schwang sich auf mich und hackte und tanzte wie tollwütig auf meinem Rücken herum. Ich weinte und schrie vor Angst. Gleichwohl: viel habe ich von diesem Szenario nicht mehr im Gedächtnis. Ich weiß nur noch, dass mir blitzartig bewusst wurde, wie einsam ich doch war auf dieser Welt. Kein Mensch weit und breit, die Mutter und der Opa im Himmel und auf der Erde nur ich und dieser tobende Irrwisch über mir.
Doch Halt! Da war noch jemand, nämlich der Schäferhund eines Bauern, dessen Gehöft auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag. Auch diesem Tier sind wir stets aus dem Weg gegangen. Man konnte ja nie wissen, immerhin waren mein Bruder und ich nicht allzu viel größer als der. Dieser Schäferhund - ich weiß seinen Namen nicht mehr - hatte mein Unglück beobachtet und fegte laut bellend über die schmale Straße heran. Ließ sich der Puter zunächst ganz und gar nicht beeindrucken, änderte er sein Verhalten, nachdem der Hund mehrmals nach ihn geschnappt hatte. Prompt suchte der Gefiederte sein Heil in der Flucht zurück auf unseren Hof, wo er sich hinter seinem Baumstumpf versteckte. Kurz darauf erschien auch der zum Hund gehörende Bauer von gegenüber auf der Bildfläche und geleitete mich in Begleitung seines knurrenden Tieres durch den Garten in die Sicherheit des Häuschens.
Inzwischen war auch meine Oma aufmerksam geworden. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Und da mit dem Tod meines Opas auch der größte Fan des Puters abhanden gekommen war, sollte der Liebling des Familienvorstandes alsbald geschlachtet werden.
Was mir geblieben ist von diesem Ort sind die Bilder der Kate, des gegen den Berg gebauten Stalles, des Hofes und seines Puters, der malerische Straße, sind das Panorama der stolzen Berge und der Duft der wunderbaren Wälder: Idylle.
Nicht lange und mein Lebensweg verlagerte sich vollends nach Hannover. Nicht einmal meine kommende Stiefmutter, die Schwester meiner leiblichen Mutter, drängte es zurück in den Schoß ihrer Heimat. Der Harz degenerierte für mich zu flüchtigen, sich wiederholenden Gesprächsfetzen, die die Erwachsenen sich gelegentlich zuwarfen, die ich aufschnappte, die in ihrer Anzahl aber nichts erhellten, nichts erklärten. Sie blieben ohne Belang.
In der nächsten Folge: Eine neue Familie entsteht.
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