Zugang zu einer kindlichen Welt findet, ja, denn die verstorbene Mutter hat ganz einfach nicht stattgefunden, als wäre sie mit einem Löschblatt herausgesaugt worden aus dem Familienverlauf. Wie im täglichen Leben, egal ob in der Schule, im Sportverein oder eben in der Familie. Nicht anders verhält es sich ja auch im Kontext größerer Zusammenhänge wie mit der kulturellen Orientierung, der Berufswahl oder beispielsweise mit der Politik. Man beschreitet und bearbeitet in aller Regel vorhandene Pfade. Als Angehöriger der Arbeiterklasse, um es mal mit einem marxistischen Begriff zu sagen, war man eben nicht darauf ausgerichtet, nach Neuem, Unbekanntem, nach eigenen Wegen zu suchen. Auf die eigentliche Ursache für diesen Ausschluss aus dem kollektiven familiären Gedächtnis werde ich in einem anderen Beitrag zu sprechen kommen
Immerhin blieb eine zweite, nicht minder emotionslose Szenenfolge an diese Zeit in mir haften. Bilder, die ich eigentlich nie direkt mit ihr in Verbindung brachte. Es handelt sich um ihre Beerdigung. Vielleicht hatte dies seine Ursache im zeitnahen Tod ihres Vaters, meines Großvaters. Er wurde am selben Ort beerdigt. Noch heute sehe ich vor meinem inneren Auge den schönen, waldigen, an einem Hang gelegenen Friedhof. Ich sehe Angehörige der Familie und andere dunkel gekleidete Menschen am Berg auf einem nach rechts verlaufenden terrassierten Weg sich drängen. Ich sehe linkerhand eine Hütte, ich sehe die Trauergemeinde auf der in der Hangmitte verlaufenden Treppe dem Ausgang zu schreiten, wie in Trance. Bis hierhin, nicht weiter. Das Ende, im wahrsten Sinne des Wortes. Bilder, die sich ungefähr vierzig Jahre später bewahrheiten sollten. Doch auch dies wird in einem anderen Teil meiner Aufzeichnungen beschrieben werden.
Diese kleinen Erinnerungen an das kurze Leben und den Tod meiner leiblichen Mutter stehen in meiner Rückschau an die Kindheit für sich, umschweben den Planeten Seele in den dunklen Sphären eines Weltalls, von dem wohl jeder von uns umgeben ist. Niemals riss die Verbindung ab, nie blieb das Nachgebliebene wirkungslos, ob unmerklich oder als eine Art sich auftürmendes polares, viel zu oft Angst einflößendes Himmelsfeuer.
Alle Erinnerungen, die darauf folgten, blieben irdisch, wuchsen sich wie bei jedem Menschen exponentiell zu einem sich individuell ausgestaltenden Garten aus, schließlich zu einem biologisch pulsierenden Planeten mit Atmos- und Stratosphäre: eine Wucht aus bunter, duftender, nährender, aber auch giftiger, stinkender, erstickender Biomasse.
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