Rezepte Menschen

Geschichten


Dulsberger

Kochlust

Herausgegeben

von Rüdiger Aboreas.

2005.


Umschlaggestaltung und Satz:


Kathrin Sachs.


Fotos:
www.foto-esther.de
und privat.


Technische Beratung:


Andreas Berg.


Herstellung:


Books on Demand GmbH
Norderstedt

ISBN 3-9810113-1-7


Inhaltsverzeichnis:


Anstatt eines Vorwortes 7
Überbackene Paprika 9
Apfel-Tiramisu 10
Putenkeule mit Erdnusssoße und Paprika 13
Ghanaische Erdnusssuppe 15
Matjes nach Hausmännerart 18
Gefüllte Paprikaschoten, türkisch 21
Kirschauflauf 24
Frühlingsbrot 26
Taco Salat 29
Stamppot 32
Teufelsschwanzsuppe 35
Wurzelgemüse-Eintopf 38
Canelones con Salsa blanca 40
Verlorene Eier 43
Curry-Reis-Eintopf 47
Gefüllte Aubergine, türkisch 51
Boeuf Stroganoff 54
Errötende Jungfrau 56
Quarktorte (ohne Mehl) 59
Mehlklöße 63
Hähnchenschenkel in Tomaten-Sahnesoße 67
Scharfes Hähnchen 70
Menü: 72
Meeresstrandrübe mit Ei, eingelegt
Forellenfilet in süß-saurer Sahne
Medaillons mit Brat- und Räucheraal
Bigos, polnisch 76
Rosinenkuchen 79
Wurstsalat mit Musik 83
Gemüsetopf Variabel 87
Halloween Muffins 90
Spätzle 92
Gheymerise („kleine Bällchen“) 94
Nudelsalat italienisch 96
Omas Pflaumenknödel 96
Strammer Max 99
Haifischsteak 103
Labskaus à la Josua 106
Eierlikör-Kuchen, spanisch 110
Linsen mit Rosinen 114
Haluschki 117
Grünkern-Klöße mit Zitronen-Sahne-Soße 119


Eine Rezeptgeschichte:


Stefan Grabowski


Es gibt zu viele Aperitifs auf dem Dulsberg


War die Freundin schuld? Oder ich selbst? Beide gemeinsam? Tatsache ist gewesen, dass eine Poularde liegen geblieben war. Im Kühlschrank. Eingeschweißt in Verkaufsfolie. Vielleicht hätte es genügt, die Flatterfrau herauszunehmen. Auf jeden Fall scheint sie anderntags gammelig geworden zu sein.

Ein Malheur, das so kam: Es war an einem geruhsamen Samstagnachmittag. Viele lange Abende hektisches Arbeiten lagen 68 hinter mir. Die Beine ruhten ausgestreckt unter dem Tisch. Alles war gut. Zur Krönung des Tages sollte es am Abend ein richtiges Essen geben, mit einer gefüllten, langsam geschmorten fetten Poularde, dazu Rotkohl und Knödel.

Endlich mal wieder entspannt allein für mich und die Freundin kochen, geruhsam schlemmen, ein Bier dazu, darauf hatte ich mich gefreut. Im Fernsehen lief ein spannender Film. Doch bevor es an den Herd ging,war mir nach einem wohligen Aperitif. Ich öffnete das Barfach – es war leer. Kühlschranktür auf – nichts drin! Verdammt! Dieser Zustand stand nicht auf der heimischen Dienstordnung. „Lass uns doch rasch auf ein Bier ins Gambrinus gehen“, schlug meine Freundin vor. Ein Blick auf die Uhr, es war noch Zeit.

Also raus aus der Wohnung, rein in die Kneipe. Hier, am Tresen, war es auch gemütlich, fast wie zu Hause. Im Augenblick vielleicht sogar noch einen Tick gemütlicher. Vor allem waren gute Freunde um uns herum. Also tranken wir nicht einen Aperitif, nein, es wurden zwei, drei und mehr. Bald kam eine Runde von rechts, darauf eine von links, dann gaben wir eine aus. So ging es los und so ging es weiter, den späten Nachmittag über, den Abend, bis in die Nacht hinein. Zwischendurch gab es Pferdewurst, eine Spezialität des Gambrinus’. Wir dachen an alles, aber nicht mehr an unsere Poularde.

Wie schon erwähnt: Am nächsten Tag, dem Sonntagnachmittag, als ich das Geflügel endlich von der Folie befreite, machte es einen nicht mehr ganz frischen Eindruck.Was tun? Uns knurrte mächtig der Magen. Also klingelte ich bei der Nachbarin und bat um eine milde Gabe. Das einzige, was in ihrer Kühltruhe lag, waren zwei steif gefrorene Hähnchenschenkel.

Dankend trug ich sie herüber in meine Küche. Da lagen sie nun, traurig und mickrig, jedenfalls im direkten Vergleich mit der Poularde. Nein, Rotkohl und Knödel wollten nicht so recht dazu passen. Reis war noch da, Gewürze, Crème fraîche, frischer Thymian. Eins, zwei, ein neues Abendessen wurde geboren. Es gab Hähnchenschenkel auf Reis, nach Art des Hauses. Meine Freundin war trotzdem guter Dinge. Denn es schmeckte ihr so gut, dass wir dieses Gericht auch heute noch kochen, immer mal wieder.Mit und ohne Aperitif.




...und noch eine Rezeptgeschichte:

 

Annegret Singh


Die Jüngste hat immer das Nachsehen


Mein viel zu früh verstorbener Vater hatte uns, seinen drei Kindern und meiner Mutter nicht mehr als eine alte Holzbaracke in Tötensen hinterlassen. Hier „hausten“ wir in den fünfziger Jahren ohne elektrisches Licht und fließendes Wasser. Mit anderenWorten: Wir waren arm.

Meine Mutter musste also sparsam kochen. Gegessen wurde im Schein einer Petroleumlampe an einem alten übergroßen Holztisch. Nicht selten gab es dabei Gerangel um die besten Stücke. Da hatte ich als die Jüngste in der Familie häufig das Nachsehen. So auch bei dem Essen, um das es hier geht: Linsen mit Rosinen. Ein Gericht, das noch heute als mein Leibgericht bezeichnet werden darf.

Es waren weder die Linsen noch die Rosinen, die für Streit sorgten, sondern die Knochen. Ja, richtig, die Knochen! Manchmal nahm meine Mutter auch Schweineschwänze, die nicht weniger lecker waren. Aber meistens hat sie die über Nacht eingeweichten Linsen auf Rinderknochen gekocht. Diese abzunagen, war unsere größte Freude. Ein Genuss für die ganze Familie. Leider blieben für mich, die jüngste der Geschwister, immer nur die kleinsten, dünnsten Knochen übrig. Ein Ärgernis, das sich wie ein roter Faden durch meine Kindheit zog.

Später, in meiner Sturm- und Drangphase waren die Linsen weit entfernt, irgendwie außerhalb des Lebens. Doch wie so oft im Leben der Menschen finden sich gewisse Vorlieben über die Jahre wieder ein. Ja, es schien, als hätte der „gute“ Geschmack einen Winterschlaf gehalten. Und eines Tages machte ich mich auf, um getrocknete Linsen und eine Tüte Rosinen zu kaufen. Anderntags stand ich am Herd und bereitete gut gelaunt mein Lieblingsgericht zu. Darf man von Glück reden, wenn der eigene Sohn das herrlichste, das Gericht der Götter verschmäht? Ich tat es und fischte mir zuallererst den dicksten Knochen heraus. Was für ein Genuss. Eine Freude, die allerdings nicht allzu lange währen sollte.

Mein Sohn wurde älter, verschmähte mit der von mir geerbten Sturheit die Linsen mitsamt den Rosinen. Doch eines Tages, es war gewittrig, vorherbstlich kühl, da dampfte im großen Topf mein Lieblingsgericht. Ich füllte mir auf, beugte mich über den Herd, um nach dem dicksten Knochen zu fischen. Da – ungetarnt und ungeniert – näherte sich von links eine Hand. Ich blickte verwundert auf. Mein Sohn! Und noch bevor ich begriff, hing der dickste Knochen an seiner Gabel.Wenn er auch die Linsen nicht möge, so sagte er, gelte dies keinesfalls für die Knochen. Da war sie wieder, die alte Zeit. Für einen Augenblick schien es, als wäre Tötensen auferstanden, die Enge, der große Tisch, der Streit um den dicksten Knochen. Na ja, ich war ja gewöhnt, hinten anzustehen – und wünschte meinem Patrick guten Appetit.

Mal ehrlich, wer würde mit seinem Sohn um einen albernen Knochen streiten?

 

Derya A.


Gefüllte Paprikaschoten, türkisch


Zutaten:


4 grüne Paprikaschoten
300 g Rinderhack
50 g Reis
1 Ei
1 Zwiebel
1 handtellergroßes, altbackenes Fladenbrot (oder Brötchen)
2 - 3 geschälte Tomaten
frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
5 El Öl
Salz und Schwarzkümmel


Zubereitung:


Reis gar kochen. Fladenbrot einweichen. Zwiebel klein hacken. Paprikaschoten am Strunk flach aufschneiden, aushöhlen, innen säubern, Deckel beiseite legen. Hack mit gekochtem Reis, dem Ei, dem eingeweichten Fladenrot und der gehackten Zwiebel vermischen. Mit Pfeffer und Salz abschmecken. In die Paprikaschoten füllen. Die Tomaten schälen. Einen Topf mitWasser und dem Öl zum Kochen bringen. Mit Pfeffer, Salz und Schwarzkümmel würzen. Geschälte Tomaten hinzufügen. Den vorher abgeschnittenen „Deckel“ über das Hack auf die Paprikaschoten setzen. Die Paprikaschoten in den Sud geben und so lange köcheln lassen, bis Schoten und Hack weich und gar sind.





Wer  kocht denn da..?


Zum Beispiel Josua Schlöme



Spricht Josua von sich, von seinem Leben, dann weiß man nicht, wo man mit dem Aufzeichnen beginnen soll – so prall und vielschichtig, so ungewöhnlich und verschlungen sind die Wege des 58-Jährigen gewesen. Und manchmal, wenn er gestikulierend und mit seiner Stimme spielend ins Detail geht, dann bauen sich unwillkürlich Fragezeichen auf: Ist er jetzt der reine, sachorientierte Berichterstatter seiner selbst oder ist er gerade der Schauspieler, der er ein ganzes Leben lang gewesen ist? Einmal in der Kindheit, das, was man ihm angetan, ängstlich verbergend, andererseits von der späten Jugend an auf den Brettern, die bekanntlich die Welt bedeuten. Die reale Welt begann für Josua in Budapest, wo er 1947 geboren wurde. Seine Mutter verstarb dabei. Angehörige brachten den Säugling in ein Kloster nach Trostberg im oberbayerischen Traunstein. Von dort sollte er schon bald nach Kiel „transportiert“ werden, in die Obhut seines leiblichen Vaters. Wohl und geborgen hat er sich indes allein bei den Großeltern gefühlt. „Wunderbare Menschen!“

Als er es zuhause nicht mehr ausgehalten hat, ist er davongelaufen – und nie mehr zurückgekehrt. So gelangte er nach Hamburg. Hier begann er Ballett zu studieren. Schon mit 16 Jahren durfte er als Solist auftreten. Der jüngste Petroschka (Strawinski) sei er gewesen, sagt Josua. Dann das Unglück. Die junge Karriere knickte, als er von einem Auto überfahren wurde. Bewegungsunfähig im Krankenhaus liegend, suchte er Trost in der Rezitation klassischer Texte. Plötzlich wuchs seine Stimme, gebar tiefe, eindringliche Tonlagen, wurde zum Instrument seiner Kreativität. Wie so oft im Leben eines Künstlers kam ihm der Zufall zu Hilfe. Auf sein Schicksal aufmerksam geworden, machten sich bekannte Theatergrößen auf, ihn anzuhören.

Nach seiner Genesung durfte er vorsprechen. So wurde er, der eigentlich Tänzer sein wollte, ein Komödiant. Ist es nicht gerade das ernsthafte Wesen, die in Prüfungen gereifte Urteilskraft, was die großen Komödianten dieser Welt auszeichnet? Wie dem auch sei. Josua hatte eine neue Heimat gefunden. Sein erstes Engagement bekam er in Köln. Es folgten Frankfurt, Berlin, Wien, Zürich. Josua war ein Reisender in Sachen Theater geworden. In Paris quartierte er sich für längere Zeit in Pigalle ein. Hier fühlte er sich heimisch: das Künstlerleben, die auffliegenden Phantastereien und Szenarien leidenschaftlicher junger Darsteller, das rote Licht am Rande der Welt ...

Aus der Tiefe seines Wesens ist Josua ein nach Freiheit und Unabhängigkeit strebender Mensch. Er hat sein ganzes Leben über nicht nur Theater gespielt, sondern auch geurteilt über Theater,auch über seine Parts.Der Wunsch,selbst Regie zu führen, wuchs immer mächtiger heran. Zurück in Hamburg gründete er ein Kleintheater, das er „Theater im Karo“ nannte. Doch sollte er damit nicht glücklich werden. Wie so oft gab es Streit um die Finanzierung, um die Ausgestaltung. „No!“ Josua war nicht mehr bereit, sich einer neuen Fremdbestimmung zu unterwerfen. So wurde er zum Einzelkämpfer. Nach und nach transformierte er bekannte Theaterstücke in Monologe, mit denen er zu verschiedenen Anlässen auftrat. Leider ist er nicht mehr ganz gesund, so dass er seit einigen Jahren in seinen Möglichkeiten sehr eingeschränkt ist.

Entspannung findet er mit klassischer Musik, vor allem Tschaikowsky und Puccini.Wagner mag er nicht, der kommt ihm zu gewaltig daher. Josua liebt und liest alte Bücher, die er nicht missen will. Auch engagiert er sich für Obdachlose und all jene, die vom Schicksal nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst worden sind. So sucht er am Heiligabend regelmäßig Obdachlose auf, spricht mit ihnen, lädt sie ein in seine ganz spezielle Vorstellung: in dieses unglaublich riesige Theater,das sich Menschenwelt nennt und das bisweilen auch unter einer Brücke eine Bühne findet.

Auch auf dem Dulsberg würde er gern noch einmal tätig werden. Vielleicht, so sagt er, mit einem Theaterstück für Kinder oder einem Weihnachtsmärchen.

 

38 Dulsberger (Hamburg) und ein Kochprojekt verraten, was sie so essen. Sie erzählen von sich und eine Geschichte über das vorgestellte Gericht: Herausgekommen ist ein gutes Stück Dulsberger Leben. Nicht zuletzt so etwas wie Praktische Soziologie.


Viel Spaß dabei!!

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